Welteke und ich

Jedes Mal, wenn sich in TV. Funk und schmähenden Leserbriefen die Vorwürfe gegen den Herrn Bundesbankpräsidenten a. D. Welteke wiederholten, häuften, größer wurden – jedes Mal wurde ich kleiner und kleiner... Nicht, dass ich für 7000 Euro unerlaubt irgendwo auf Rechnung Dritter feudal residiert, gar mit meinen drei Frauen. Aber unterhalb dieser Summe habe ich offenbar bisher ein strafbares Leben geführt, voller aktiver und passiver Bestechlichkeit, ein voll korrumpiertes Leben, eines Beamten unwürdig. Denn erlaubt waren und sind die Annahme oder Vergabe von Geschenken – habe ich mit Entsetzen in meiner Behörde erfahren bis maximal 30 (Deutsche Mark), also 15 Euro. Meine Güte, wie viele Studentengruppen haben mir nicht - wie so viele Schüler ihren Lehrern – zum Schluss des Studiums Geschenke gemacht! Ich erinnere schwer abziehbare Preisschilder an manchen schönen Büchern, die deutlich mehr als sogar 30 Euro zeigten! Oder der Pflaumenbaum, den man mir schon nach dem Vordiplom in einem Kübel (mit Handbemalung) schenkte! Bestechen ließ ich mich! Dass ich generell ein Sünder bin, lernte ich früh. Jetzt weiß ich zusätzlich, dass ich mit diesem halben Meter Bücher- und CD-Geschenken, Bäumen, Pflanzen seit Jahren ein kleiner Welteke bin. Was mache ich mit der seltenen chinesischen Geige oder dem Didgeridoo, die mir Kolleginnen und Kollegen aus Übersee mitbrachten für meine Sammlung. Und manche von ihnen (den Kollegen) habe ich gar später befördert und gar nicht mehr an diese Mitbringsel gedacht. Dann die obligaten Blumensträuße in jenen teuren Papieren, die wie Reifröcke aussehen, nach öffentlichen Vorträgen. Alles über 30 bzw. 15! strafbar. Wenn ich es jetzt bedenke, stehe ich mit einem Fuß, nein zwei Füßen samt Gehhilfe längst im Spezialkittchen für Beamte. Auch umgekehrt habe ich mich strafbar gemacht: Aktive Bestechung! Ich habe Blumensträuße an kranke Kollegen geschickt und wenn sie echt und schwerer krank waren, ging das ins Geld oberhalb von 15 bzw. 30. Oder wenn ich mein Buch, das ich über Schwangerschaft schrieb, an schwangere Familien schenkte - jedes kostet 36! Bestochen habe ich. Denn bei zwei Kollegenkindern bin ich nun Pate und das Abhängigkeitsverhältnis ist noch doller als ohnehin im Amt. Und, erinnert Christine, erst die Drittmitteleinwerbung"! Tagungen, Kongresse, Forschungen wollen bezahlt sein, weil der Staat nicht mehr kann und seine Beamten (mich) deshalb beauftragt, Geld (Drittmittel) einzuwerben". „Werben!" Bisher tat ich das mit Einladungen zu uns nach Haus und Christine kochte. Künftig, meint Christine, müssen solche Leute Speis und Trank bei uns in cash zahlen. Damit wir unter 30 bleiben bzw. 15. Aber vielleicht ist Christine bald sowieso ganz alleine mit dem Problem mit den Gästen. Weil ich irgendwo einsitze. Mit Herrn Welteke.

20. April 2004